Usge und Zacchi

[202] Eine japanische Geschichte.


In Japan, wo viel edle Seelen

Und holde Mädchen sind,

War, wie die Schiffer uns erzehlen,

Ein armes Hirtenkind.


Verborgen, wie die Mayenrose

Im dunkeln Busche glüht,

War Zacchis Jugend in dem Schooße

Der Unschuld aufgeblüht.


So lebte sie bey ihrer Mutter,

Von Harm und Liebe frey,

Für nichts besorgt, als für das Futter

Der kleinen Schäferey.


Einst band sie auf beblümter Erde

Sich einen Veilchenstraus;

Da kam ein junger Mann zu Pferde

Den nahen Wald heraus.
[203]

Der Cubo wars. Mit Speer und Keule

Bekriegt er auf der Jagd

Im armen Wild die lange Weile,

Die seine Seele plagt.


Er sieht das Mädchen: ihre Blicke

Entzünden seine Lust,

Und füllen plötzlich jede Lücke

In seiner öden Brust.


Schön war der Cubo, groß und bieder

War Usges rauher Muth,

Er setzt zu ihr ins Gras sich nieder

Und malt ihr seine Glut.


Sie staunt, die Rosen ihrer Wangen

Entflammen zu Karmin.

Er küßt sie, reicht ihr seine Spangen

Vom Helm. Sie will entfliehn.


Itzt nennt er sich; sie zagt, sie bebet

Und stürzt auf seinen Schooß.

Entzückt umschlingt er sie und hebet

Sie kosend auf sein Roß.
[204]

Sie folgt ihm – (eines Cubo Blicken

Gehorcht selbst die Natur)

Verstummt, wie auf des Würgers Rücken

Das Lamm, durch Hayn und Flur.


Schon deckt ihn mit der schönen Beute

Der Hofburg stolzes Dach,

Und Amor giebt ihm das Geleite

Ins goldne Brautgemach.


Der Tag erwacht. Die holde Dirne

Umwallt ein Fürstenkleid,

Und Usge schmückt ihr Arm und Stirne

Mit blitzendem Geschmeid.


Doch ungetäuscht von Pracht und Fülle

Bleibt sie noch Schäferin,

Und oft schwingt sich in ernster Stille

Ihr Geist zur Mutter hin.


Sie wählt von ihrem Brautgeschmeide

Das schönste Kleinod aus,

Und schickt mit eines Engels Freude

Es insgeheim nach Haus.
[205]

Doch kaum ist unter Kuß und Spielen

Der zehnte Tag vorbey,

So fängt ihr Herz schon an zu fühlen,

Daß sie nur Sclavin sey.


Einst sah sie traurig nach dem Berge,

Der ihre Flur versteckt,

Und ward von ihrem stummen Zwerge

Aus ihrem Traum erweckt.


Sie schauert auf; er giebt der Schönen

Ein Briefchen, ihr allein.

Sie liest, sie netzet es mit Thränen,

Und Usge tritt herein.


Mißgünstig, wie die hohen Seelen,

Ist sie mit ihrem Schmerz.

Des Briefchens Inhalt zu verhehlen,

Versteckt sie's auf ihr Herz.


Er siehts. Wie Gottes Donnerkeile

Den Sünder, der ihm flucht,

So treffen plötzlich ihn die Pfeile

Der blassen Eifersucht.
[206]

Er will, sie soll das Blatt ihm weisen;

Sie schweigt. Er dringt darauf;

Sie fleht. Er will es ihr entreissen;

Sie hält die Hand ihm auf.


Er ringt mit ihr; sie weint. Er fasset

Den Brief; sie haschet ihn,

Verschlingt ihn, schluchst und sinkt erblasset

Zu seinen Füßen hin.


Man ruft den Arzt. Er lockt die Seele

Umsonst ins schöne Haus;

Er öfnet ihr die weisse Kehle

Und zieht den Brief heraus.


Da lies: »Von Krankheit abgezehret

Dankt deine Mutter dir

Für dein Geschenk. Tien, der mich höret,

Belohne dich dafür.«


Schnell hascht die knirschende Harpye,

Verzweiflung, Usges Herz,

Er küßt der Heldin starre Knie

Und heult vor Wuth und Schmerz.
[207]

Wie? kann er noch auf Erden weilen?

Ja, mehr als Orosman

Thut er; läßt Zacchis Mutter heilen,

Und nimmt als Sohn sie an.


In eine marmorne Kapelle

Schließt er den Leichnam ein.

Amida1 hütet auf der Schwelle

Das heilige Gebein.

Fußnoten

1 Amida, der Schutzgott der guten Seelen.
[208]

Quelle:
Gottlieb Konrad Pfeffel: Poetische Versuche, Erster bis Dritter Theil, Band 3, Tübingen 1802.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Fabeln und Erzählungen
Politische Fabeln und Erzählungen in Versen
Fabeln Und Poetische Erzählungen, Volume 2 (German Edition)
Fabeln Und Poetische Erzählungen, Volume 1 (German Edition)

Buchempfehlung

Goldoni, Carlo

Der Diener zweier Herren. (Il servitore di due padroni)

Der Diener zweier Herren. (Il servitore di due padroni)

Die Prosakomödie um das Doppelspiel des Dieners Truffaldino, der »dumm und schlau zugleich« ist, ist Goldonis erfolgreichstes Bühnenwerk und darf als Höhepunkt der Commedia dell’arte gelten.

44 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon