II.

[357] Bevor wir unseren Bericht fortsetzen, dürfte es sich für die freundlichen Leser, die uns auf dieser Fahrt auf der Nord- und Ostsee folgen wollen, wenn die nachfolgenden Anmerkungen für sie von einigem Interesse sein sollen, empfehlen, sich kurz mit dem Schiffe, auf dem wir uns befanden, bekannt zu machen.

Der »Saint Michel«, dessen geringe Größe ihn auf den ersten Blick als ungeeignet für weitere Seereisen erscheinen lassen möchte, ist eine reizende Dampfyacht, dreiunddreißig Meter lang und achtunddreißig Registertonnen, das heißt siebenundsechzig Tonnen nach der Messung des französischen Yachtclubs, groß. Er führt dessen dreifarbigen Wimpel mit dem weißen Stern am Maste.

Erbaut in Nantes, 1876, von der Firma Jollet und Babin, verbindet diese Yacht mit einer zweifellosen Solidität ganz ausgezeichnete nautische Eigenschaften, die es im schlimmsten Fall ermöglichen würden, auch sehr schlechtem Wetter zu trotzen. Nach Thomas Pearkop's Aussage würde dieselbe bei einem Sturm, den man auszustehen hätte, sogar noch mehr Sicherheit bieten als ein Fahrzeug von höherem Tonnengehalt. Eine derartige Aeußerung des »Gentleman« dürfte jedoch nur mit großer Reserve aufzunehmen sein, denn eine »so kleine« Yacht, die ihm »so viel« in, »so kurzer« Zeit einbrachte, mußte wohl nahezu vollkommen sein. Wir beschränken uns also darauf, von seiner guten Meinung Notiz zu nehmen; der Himmel gebe aber, daß wir niemals in die Verlegenheit kommen möchten, dieselbe wirklich zu erproben.

Der »Saint Michel« ist ein eisernes Schiff, als Goëlette getakelt, durch fünf wasserdichte Scheidewände getrennt und von eleganter Gestalt. Seine [357] Maschine von fünfundzwanzig indicirten Pferdekräften, à dreihundert Meterkilogramm – gleich etwas über hundert effective Pferdekräfte – verleiht ihm eine Geschwindigkeit von neun bis neuneinhalb Knoten in der Stunde. Diese Geschwindigkeit kann mit Hilfe des Segelwerkes bis auf zehneinhalb Knoten vergrößert werden; das Schiff ist nämlich so reichlich mit Segeln versehen, daß es, im Fall die Maschine oder Schraube ja ein Unfall träfe, im Nothfall einen gar nicht schlechten Segler abgeben könnte, denn auch ohne Mithilfe des Dampfes erreicht der »Saint Michel« bei günstigem Winde eine Schnelligkeit von sieben bis acht Knoten.

Die Maschine ist jedoch von ausgezeichneter Construction, nach dem Compound-System mit zwei ungleich großen Cylindern erbaut, hat Oberflächencondensation und ist von dem Marine-Ingenieur Normand in Havre entworfen. Sie macht der Werkstatt der Herren Jollet und Babin, wo sie gebaut wurde, alle Ehre.

Die innere Einrichtung der Yacht ist folgende:

Im Hintertheile befindet sich ein Salon, nach dem man mittelst einer geraden Treppe gelangt, welche zwischen einem Dienerzimmer und einem anderen unentbehrlichen Cabinet hinuntergeführt ist. Von diesem in Jaccarauda gehaltenen Salon, dessen Divans alle in Lagerstätten verwandelt werden können, kommt man nach einem Schlafzimmer mit zwei Betten, Toilette, Schränken und einem Tische aus lichtem Eichenholz. Hierauf folgt nach vorn zu die Maschine und der Kesselraum, welche den breitesten Theil des Mittelschiffes einnehmen. Der Vordertheil enthält den Speisesaal, zugänglich durch eine etwas gewundene Treppe, welche zwischen der Kapitänscajüte und der Vorrathskammer hinabführt, und mit der Küche in bequemer Verbindung steht. Ganz nach vorn, neben der Küche, liegt das Volkslogis mit sechs Lagerstätten für Matrosen. Alles in Allem bietet unsere Dampfyacht einen herrlichen Anblick mit ihren hohen, geneigten Masten, dem schwarzen Rumpfe, über den sich an der Wasserlinie und unter dem Barkholz weiße Streifen hinziehen, mit ihren Lichtpforten in kupfernen Rahmen, mit ihren Treppenkappen aus Teakeiche und den eleganten Linien, welche sie vom Heck bis zum Vordersteven zieren.

Quelle:
Paul Verne: Von Rotterdam nach Kopenhagen an Bord der Dampfyacht »Saint Michel«. In: Die Jangada. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band XXXIX– XL, Wien, Pest, Leipzig 1883, S. 353–404, S. 357-358.
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