Tells Tod

[254] Grün wird die Alpe werden,

Stürzt die Lawin einmal;

Zu Berge ziehn die Herden,

Fuhr erst der Schnee zu Tal.

Euch stellt, ihr Alpensöhne,

Mit jedem neuen Jahr[254]

Des Eises Bruch vom Föhne

Den Kampf der Freiheit dar.


Da braust der wilde Schächen

Hervor aus seiner Schlucht,

Und Fels und Tanne brechen

Vor seiner jähen Flucht.

Er hat den Steg begraben,

Der ob der Stäube hing,

Hat weggespült den Knaben,

Der auf dem Stege ging.


Und eben schritt ein andrer

Zur Brücke, da sie brach;

Nicht stutzt der greise Wandrer,

Wirft sich dem Knaben nach,

Faßt ihn mit Adlerschnelle,

Trägt ihn zum sichern Ort;

Das Kind entspringt der Welle,

Den Alten reißt sie fort.


Doch als nun ausgestoßen

Die Flut den toten Leib,

Da stehn um ihn, ergossen

In Jammer, Mann und Weib;

Als kracht' in seinem Grunde

Des Rotstocks Felsgestell,

Erschallt's aus einem Munde:

Der Tell ist tot, der Tell!


Wär ich ein Sohn der Berge,

Ein Hirt am ew'gen Schnee,

Wär ich ein kecker Ferge

Aus Uris grünem See

Und trät in meinem Harme

Zum Tell, wo er verschied,

Des Toten Haupt im Arme,

Spräch ich mein Klagelied:


»Da liegst du, eine Leiche,

Der aller Leben war;[255]

Dir trieft noch um das bleiche

Gesicht dein greises Haar.

Hier steht, den du gerettet,

Ein Kind wie Milch und Blut;

Das Land, das du entkettet,

Steht rings in Alpenglut.


Die Kraft derselben Liebe,

Die du dem Knaben trugst,

Ward einst in dir zum Triebe,

Daß du den Zwingherrn schlugst.

Nie schlummernd, nie erschrocken,

War Retten stets dein Brauch,

Wie in den braunen Locken,

So in den grauen auch.


Wärst du noch jung gewesen,

Als du den Knaben fingst,

Und wärst du dann genesen,

Wie du nun untergingst,

Wir hätten draus geschlossen

Auf künft'ger Taten Ruhm:

Doch schön ist nach dem großen

Das schlichte Heldentum.


Dir hat dein Ohr geklungen

Vom Lob, das man dir bot,

Doch ist zu ihm gedrungen

Ein schwacher Ruf der Not.

Der ist ein Held der Freien,

Der, wann der Sieg ihn kränzt,

Noch glüht, sich dem zu weihen,

Was frommet und nicht glänzt.


Gesund bist du gekommen

Vom Werk des Zorns zurück,

Im hülfereichen, frommen

Verließ dich erst dein Glück.

Der Himmel hat dein Leben

Nicht für ein Volk begehrt,[256]

Für dieses Kind gegeben,

War ihm dein Opfer wert.


Wo du den Vogt getroffen

Mit deinem sichern Strahl,

Dort steht ein Bethaus offen,

Dem Strafgericht ein Mal;

Doch hier, wo du gestorben,

Dem Kind ein Heil zu sein,

Hast du dir nur erworben

Ein schmucklos Kreuz von Stein.


Weithin wird lobgesungen,

Wie du dein Land befreit,

Von großer Dichter Zungen

Vernimmt's noch späte Zeit;

Doch steigt am Schächen nieder

Ein Hirt im Abendrot,

Dann hallt im Felstal wider

Das Lied von deinem Tod.«


Quelle:
Ludwig Uhland: Werke. Band 1, München 1980, S. 254-257.
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