Prometheus

(1913)


Abgeleitet aus dem 1906 entstandenen unveröffentlichten Jugendwerk »Erwins Tod«
[49]

1.

Mit wuchtigen Schlägen war der Sturm gefahren,

nun fällt im aufgewühlten Meer zu Tod

die Sonne und in schiefergrauen Scharen

wehn Regenweiber durch des Abends Rot

und schaun der Sonne nach, wie sie verloht.

Die Welt ist still und still verblaßt das Bild.

Da weckt ein Flügelrauschen mich, da droht

ein Schwarm von Adlern über mir, da schrillt

ihr Ruf und reißt mich zu des Himmels blankem Schild.


2.

Von zweier Klaun ergriffen hob mich linde

der braunen Riesenschwingen sanfter Schlag

durch Hagelwolken hoch und Wirbelwinde.

Und während unter mir der müde Tag

in siechen Nebelschwaden welkend lag,

von neuem brach die Sonne glühend hoch

und krönte mich mit ihrem Gold: so wag

es Adlerpaar, und flieg durch Wolkgewog

und Dünste hoch zum Äther wie noch Keines flog.


3.

Schon sind die Wolken und der Erde Lande

zum rollenden Globen fest in eins geballt,

schon breitet sich die Welt wie Silbersande,

schon hat den öden Raum sie eingekrallt

als schimmernd bleiche Riesenringgestalt,

die still in ihren kreisenden Spiralen

vom Ende sich zum Anfang wälzt, – da prallt

mein brausend Adlerpaar zurück, da strahlen

ob unsern Häupten gleich hell flammenden Fanalen
[51]

4.

ankündend die Geburtsstund einer Welt

des Lichtes Wogen, wie vom Sturm zerzaust

und gischtend wie vom Brandungsfels zerspellt:

hindurch, o Adlerflug! Und wo es braust

von andren Sonnen, andrer Sonnen Faust

der rollenden Planeten Republik

an unsichtbaren Zügeln lenkt, umsaust

vom Äthersturme stürm, mein Adlerglück,

durchbrich den Ring der Welt, mein fliegend Sturmgeschick!


5.

Durchbrich den Hades und die narrenden Schatten,

o meine höhenbrausende Natur,

durchbraus der Sterne und der Nebelmatten

gehäufte Ringe und Spiralen nur! –

Die Welt versinkt und sonder Pfad und Spur

ergreift das Dunkel uns, und unter mir

seh ich der Welten rollende Struktur

im Riesenkreis sich winden voller Gier

und Qualen her und hin wie ein zerplagtes Tier.


6.

Der ungeheuren Höhe wüst Gewand

mit schwarzen Seidenfransen mich umflattert –

und in dies ewig unbetretene Land

von einem Eisorkane rings umgattert

und gelben Hagelwettern wirr umknattert

ich meiner Adler Riesenschwingen zwang!

Die Feder stäubt, der wilde Hagel rattert –

im Stürmeknäul den Ring ich stolz durchdrang,

da unter mir das letzte Licht der Welt versank.
[52]

7.

Nun hüllt mich ein das flatternd schwarze Kleid,

nun schwimme ich in grandiosen Nächten,

nun presse ich hervor, was ich an Leid

zu schürfen weiß aus meiner Seele Schächten,

um es zu Geißeln kreuzweis zu verflechten,

und peitsche meine Flügelrosse wund

und zwinge meine Räuber mir zu Knechten:

ihr rißt mich von der Erde stillem Grund,

nun tragt mich zu des Ruhmes goldnem Sonnenrund!


8.

Ich geb euch alles, wenn ihr hoch mich bringt,

mein Blut soll tränken eure braunen Schwingen,

mein Herzblut, wenn ihr jene Sonne zwingt!

O fliegt! zu meinem Schöpfer will ich dringen

und ihn mit meiner Kinderfrage niederringen:

warum? warum? O du! warum? – Mir blieb

auf Erden nichts, nun biet ich mich den Klingen

des Frostes dar, und was mir selber lieb

an mir noch ist, ist dieser Ruhm- und Rachetrieb. – –


9.

In seiner unermeßlich öden Leere

geformt wie eines Nebels feinen Zug,

der los sich löst vom grauen Nebelmeere

in einem abendkühlen Erlenbruch,

der Raum ein Dunstgeschiebe schwebend trug.

Das leuchtete, wie wohl ein Weidenstumpf

in Frühlingsnächten leuchtet, wenn der Flug

der liebestollen Eulen und ihr dumpf

Geheule schaurig geistert über See und Sumpf –:
[53]

10.

hoch stehe ich auf meiner Adler Rücken,

die blutgetränkte Geißel schwingt die Hand

und weist zu jener gasigen Nebelbrücken,

die eine Öde an die andre bannt;

nun türmt sich's hoch, nun drängt sich Phosphorbrand

und Dunst um uns in bleichen Wolkenballen –

die Spur verflogen und den Weg verrannt,

hintaumeln wir in giftigen Nebelhallen,

der Atem keucht, die Schwinge bricht, wir fallen, fallen –.


11.

Da reiß ich Fetzen Fleisch aus meiner Brust,

zerbeiße mit den Zähnen meine Adern

und stille ihre gierdevolle Lust –

zurück zu jenen giftgen Dunstgeschwadern!

Mit meinem Schöpfer laßt mich grimmig hadern,

in tiefste Heiligtümer will ich dringen,

in seines eignen Demantbaues Quadern

mit meinem Gotte Aug in Auge ringen

und ihn mit meiner Kinderfrage niederzwingen!


12.

– – – – – – noch immer tiefe Nacht!

Da wühlt und nagt in mir der Zweifel Streit

und draußen lullt der Frieden leis und sacht

sich selber ein! Ein heißer Zwiespalt schreit

durch meine Welt! Mit einem Herzen weit

geöffnet aller Sinnen bunten Formen

vereinigt sich ein Drang nach Wesenheit,

nach grauen Formeln und nach ewigen Normen:

ich seh in Nymphen stets Sibyllen nur und Nornen.
[54]

13.

Das ist des Glaubens unheilvoll Vermächtnis,

des süßen Kinderglaubens schwerer Fluch,

der Ammenworte untilgbar Gedächtnis!

Der Vatergott, den ich in mir erschlug,

der kleidet sich in Spuk und Schementrug

und geistert nun als »Ding« und als »Substanz«,

als »Wahres Sein« und »Letzter Grund« –, genug,

solange dieser bleiche Schementanz

noch spukt, ist zwiefach meines Lebens schöner Sinnenkranz. –


14.

Da atmete die Nacht und ein Arom

von blühendem Roggenkorn dem Hauch entsank

und Flut auf Flut flog durch den blauen Dom

der liebeswilden Nachtigall Gesang –

Was singt sie nur? Welch letzter Grund nur zwang

in solche kleine Brust solch wildes Sehnen?

Und grade diesen Ton? Und diesen Klang?

Ach! in des Lebens tiefsten Wollustszenen,

umwogt von Liebesdüften süß wie der Verbenen,


15.

drückt mich im Taumel deiner weißen Glieder

von höchsten Lüsten schmerzlich süß zerrissen

der alte Zweifel ewig quälend nieder:

mich peinigt auf der Liebe Seidenkissen,

mich martert unter wollustwütigen Bissen

die ewig qualenvolle letzte Frage:

warum dies nur? Und in den Finsternissen

der Gottheit suchend tief versenkt, zernage

ich meiner Jugend taumelbunte Wundertage. – –
[55]

16.

Aus krauser Formeln Hieroglyphenstil,

aus blauer Nacht und weißen Mädchenhüften

aus aller Sinne purpurnem Gefühl –

durchwirkt mit schwarzen Lettern heiliger Schriften,

durchtränkt mit Vogelsang und Roggendüften

sinkt wie ein sammetweiches Tuch der Schlaf

auf mich und führt zu tiefsten Felsengrüften

mich unter eines linden Traumes Architrav –

mich Götterfeind und widerwilligen Hierograph!


17.

Nun wandre ich in Beni Hassans Grabe,

im tiefen Felsenschoß der Pyramiden

und wanke, wanke hin am goldnen Stabe

des Schlafs und trinke süßen Seelenfrieden. –

Der wilde Vater der Ozeaniden

lehnt seinen Dreizack an des Berges Wand,

da glättet sich der Wogen wallend Sieden

und ihres Wütens schäumender Unverstand

und es verperlt der Kämme kochend weißer Rand.


18.

Doch steigt die Nacht herauf mit tausend Sternen,

auf seinem harten Lager stöhnt das Meer,

und ruhlos wälzt sich in den grauen Fernen

das blaue Ungeheuer hin und her.

Es schläft, und seiner Wellen rauschend Heer

begleitet seiner Träume leere Leiden –:

der Ekel vor der Tage Wiederkehr

und was da stöhnt in wüsten Wasserweiten

ist nur die Qual der grenzenlosen Einsamkeiten!
[56]

19.

Die Amsel ruft! Mit goldstaubschweren Händen

umfaßt der Morgen meine Seele wieder

und führt sie aus des Schlafes Felsenwänden

zurück in ihre weichgelösten Glieder.

Dann streicht er kosend über Brau'n und Lider

mit seiner Morgenröte ersten Strahlen,

und kniet vor meinem Lager leise nieder

und träuft auf meine Lippen abermalen

der Hoffnung Tau aus heckenrosenroten Schalen.


20.

Ein neuer Tag! Gottlob ein neuer Tag!

Und neue Hoffnung, heut das Wort zu finden,

in dessen Klang die Welt ich lieben mag,

mit dessen Lettern – wie mit Heckenwinden,

die Schilf und Baum zu einem Grün verbinden –

ich meine Welt an andre knüpfen kann.

Ein neuer Tag! Es rollt aus Abgrundsgründen

das Ungeheure purpurgolden an –

im Ungeheurn das Ungeheuerste gerann. –


21.

Schon trank mit ihren durstigen Strahlenzungen

die Sonnenglut der Täler Nebelseen

und warf sich leuchtend dann und honigtrunken

von dieser Blume, die – wer weiß für wen? –

im Äther blüht, in kobaltblaue Höhn.

Nun liegt die Welt wie aus dem Nichts entsprungen

und wie ein Meisterkunstwerk anzusehn,

das meinem Sinnen mühelos gelungen,

in krausen Wäldern und in grünen Niederungen.
[57]

22.

Du meine trunkne Sonne, Wald und Tal,

ihr blauen Höhn und silberhellen Weiher,

ihr Bäume, Blumen, Gräser ohne Zahl –

o meine lichtdurchströmte Morgenfeier!

Ich schwebe über euch, ein Riesengeyer,

und schwöre mir den souveränen Schwur:

ich schuf euch! o bei meiner goldnen Leyer!

ich schuf die Welt, ich weckte die Natur,

und außer mir ist nichts! – Und doch – was will ich nur?

Quelle:
Gustav Sack: Gesammelte Werke. Band 2, Berlin 1920.
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