|
[61] An Minna.
Berauscht vom Wein des Großpapa
Schoß Amor einst im Scherz
Den Pfeil nach ihm, und siehe da,
Er traf ihn just ins Herz.
Da wurde Zevs von Liebe krank,
Fuhr auf die Unterwelt
Und machte manchen losen Schwank,
Den uns Ovid erzehlt.
Und als er wieder zu sich kam,
Kehrt er in sein Quartier
Und sprach zum Amor voller Schaam:
Den Streich bezahlst du mir.
Sein Zepter rührt ihn an, und husch
Sträubt sich sein blondes Haar
In einen hohen Federbusch,
Der noch geringelt war.
[62]
Er ringt die Arme; diese ziehn
In Flügel sich zurück
Von Gold und Lazur und Carmin,
Wie buntes Güldenstück.
Er wollte schreyn; stumm war der Hauch,
Der seinem Mund entgieng.
Er wollte fliehn; sank auf den Bauch
Und war ein Schmetterling.
Das arme Kind! Sein Bogen liegt
Erschlafft in träger Ruh
Und er, stets wollustathmend, fliegt
Den Blumenbeeten zu.
Itzt küßt er Nelke, Rose, Mohn
Und Veilchen und Jesmin,
Und küßt sie kaum, so schwärmt er schon
Auf andre Blumen hin.
Des kleinen Sünders Jammerstand
Erbarmt den Großpapa.
Auf einen Wink von seiner Hand
Stund Amor wieder da.
[63]
Nur ließ er, was von einem Gott
Wohl nicht das klügste war,
Ihm zum Gedächtniß und zum Spott
Der Flügel buntes Paar.
Seit dem führt Amor blos zum Scherz
Sein zackichtes Geschoß;
Er heftet heut sich an ein Herz
Und läßt es morgen los.
O wohl uns, daß der Freundschaft Band
Nicht in sein Reich gehört!
Nein, Minna, selbst durch Parzenhand
Wird unsers nicht zerstört.
Ausgewählte Ausgaben von
Fabeln und Erzählungen
|
Buchempfehlung
Bereits 1792 beginnt Jean Paul die Arbeit an dem von ihm selbst als seinen »Kardinalroman« gesehenen »Titan« bis dieser schließlich 1800-1803 in vier Bänden erscheint und in strenger Anordnung den Werdegang des jungen Helden Albano de Cesara erzählt. Dabei prangert Jean Paul die Zuchtlosigkeit seiner Zeit an, wendet sich gegen Idealismus, Ästhetizismus und Pietismus gleichermaßen und fordert mit seinen Helden die Ausbildung »vielkräftiger«, statt »einkräftiger« Individuen.
546 Seiten, 18.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.
456 Seiten, 16.80 Euro