Evert von Remen, zum Beschluß

[540] Nachwelt, du kennst nun den Mann, den ich deinem Urtheil unterwarf, kennst ihn nach seinen eigenen Geständnissen, und nach den entschuldigenden Umständen, die für ihn in dem Verhalten anderer lagen; Umstände, davon ihm selbst wenig bekannt geworden ist, die ich erst nach seinem Tode, mit Mühe und Lebensgefahr, mit Verlust eigener Sicherheit und Ruhe, aus den Winkeln, in welchen[540] sie verborgen lagen, zusammen brachte, um sein Andenken bey der Welt zu rechtfertigen.

O! Adolf! Adolf! Du mußtest fallen, weil man wollte, daß du fallen solltest. Deine Ehrsucht nicht so wohl als ein Schicksal, das ich unmöglich günstig nennen kann, erhub dich auf eine Stufe, von welcher dich der Neid, gar bald wieder herabzustürzen strebte. Man lockte dich aus deinem Eigenthum, dich desselben desto sicherer berauben zu können; du hattest Privatfeinde, die dich, um ihre Absichten zu erreichen, unvermerkt in die Schicksale der Großen verwickelten, bis du dermaßen verstrickt warst, daß du nebst allen, die man nebst dir und durch dich stürzen wollte, fallen mußtest. Man hatte so viel durch dich ausgerichtet, daß man dich noch ferner zu brauchen hofte. Dies glückte nicht, und man warf dich als ein nutzloses Werkzeug auf die Seite; du wurdest in den Staub getreten, wurdest vergessen, bis beynahe nach Verfluß eines halben Jahrhunderts die Freundschaft dich fand, und mit besserm Willen als Vermögen sich vermaß, dir alles wieder zu geben, was du verloren hattest. – Du lächeltest ob dem Versprechen, das aus meinem Munde ging. Evert von Remen, sagtest du, das dürftest du wohl nicht vermögen; alles was du mir noch geben kannst, ist ein ruhiges Grab und eine Thräne; denke darauf, ich werde es bald brauchen.

Was Adolf gesagt hatte, das geschah. Er, der dreißig Jahr unter den unerhörtesten Leiden einer harten Gefangenschaft nicht erlag, er, den der wohlthätige Ademar in den zehn folgenden Jahren durch milde Behandlung, so weit er vermochte,[541] sein Leben wieder lieben, seine Leiden vergessen lehrte, er konnte höhern Wachsthum des Glücks nicht ertragen. Der Freund seiner Jugend, sein treuer Evert von Remen, ward ihm wieder geschenkt, alle Vortheile, welche ihm sorgsame Liebe mit einiger Macht verbunden, nur gewähren konnten winkten ihm; aber – es war zu spät. – Er starb des achten Tages nach unserm Wiedersehen in meinen Armen.

Oft bin ich auf die Vermuthung gekommen, ob vielleicht eben unsre Wiedervereinigung, an welche sich das lebhafte Andenken der Vergangenheit so fest ketten mußte, seinen Tod beschleunigte. Einige seiner letzten Worte bleiben mir immer nachdenklich. O Freund Freund, rief er einst nach einer der süssesten Stunden, die wir nach seiner Wiederfindung zusammen verlebt hatten, du irrst, wenn du meine Freude über dich für so rein hältst, als die deinige seyn mag. Dein Anblick ist mir ein quälender Vorwurf; was thatest du, was littest du, für mich, und wie habe ich dir gelohnt? Ich verkannte, verließ, vergaß dich! Wie ganz anders würde der Weg meines Lebens gewesen seyn, wär ich ihn an deiner Hand fortgegangen! Der erste Schritt von dir führte mich dem Unglück entgegen! aus dem nun du mich retten mußt!

Ich fühlte die Wahrheit dieser Bemerkung wohl, aber ich bestrebte mich sie zu bekämpfen. Er stellte sich, mir zu gefallen, als ob er diesen schwermüthigen Betrachtungen keinen Raum mehr gäbe; aber wer weis, ob sie nicht in der Einsamkeit doch zurück kehrten, und seinen dünnen Lebensfaden vollends abnagten.

Fußnoten

1 1408 veranstaltete Kaiser Ruprecht die ersten Untersuchungen zu Reformation der Freygerichte.


2 Der Herzog von Sachsen war oberster Stuhlherr aller Freygerichte.


3 Registr. Innocent III.


4 S. Decret. Greg. IX.


5 Registr. Innocent III.


6 Die Entstehung der Inquisition so wohl als die Stiftung des Dominikaner- und Franziskanerordens fällt in diese Zeiten.


7 Welches aber erst mehrere Jahre nachher 1215. geschahe, da Innozens III. wider den unglücklichen Grafen von Toulouse das Kreuz predigen ließ, wie gegen Türken und Ungläubige, und alle christliche Fürsten wider ihn aufregte.


8 In jenen Zeiten begann man dem Golde alle Wunderkräfte zum Besten der Menschen zuzuschreiben, der Leser verzeihe dem Pfalzgrafen sein unrichtiges Gleichniß, einer Dame zu schmeicheln, läßt auch wohl ein Liebhaber des achtzehenden Jahrhunderts sich etwas ähnliches zu schulden kommen.


9 Die rothe Erde war der Name, welcher Westphalen als dem Vaterland der Vehmgerichte in der geheimnißvollen Sprache der Wissenden gegeben wurde.


10 Beatrix soll ihrem Gemahl außer andern Schätzen 150 Schlösser zugebracht haben, die ihr durch Erbschaften zugefallen waren.


11 Sie ward in der Folge an den Herzog von Brabant vermählt!


12 Nicht in verschlossenen Sälen, am liebsten unter freyem Himmel auf grünender Erde, sollen die heimlichen Richter ihre Sitzungen gehalten haben.


13 Adelheit, einer Aebtissinn von Quedlinburg.


14 Die Fabulisten der grauen Vorzeit, denen wir die umständlichsten (obgleich eben nicht die wahrscheinlichsten) Relationen von diesen geheimnißvollen Dingen schuldig sind, behaupten: Karl der Große habe den heimlichen Richtern den Blutbann mit der Bedingung verliehen, daß nur die Nacht ihre Vertraute seyn, die Morgenröthe nie ihre Versammlungen erblicken solle.


15 Name der Formel, wie sie zu dieser Absicht in den damahlichen Gerichten üblich gewesen seyn soll.


Quelle:
Benedikte Naubert: Alf von Dülmen. Leipzig 1791.
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