Elegie an Sophie von Seckendorf und Eleonore von Kalb

[107] In des einsamen Thales Umschattungen, wo sich der Bergquell

Durch verwachsnes Gesträuch, schäumend vom Felsenhang stürzt,

Weilt' ich im dämmernden Lichte des sinkenden Tages und streute,[107]

In Gedanken versenkt, sterbendes Laub in die Fluth:

Siehe! da nahte, bekränzt mit halbentblätterten Rosen,

Die Erinnerung mir, lächelnde Wehmuth im Blick.

Ein verblichnes Gewand umwallte die göttliche Bildung,

Unter der Wandelnden Fuß sproßten Vergißmeinnicht auf.

Herzlich sei mir gegrüßt, im scheidenden Strale des Tages!

Rief ich der Himmlischen zu, zaubre, du Freundliche, mir

Jene Stunden der Wonne zurück, in täuschenden Bildern,

Die mir am Busen der Ruh' oder der schönen Natur,

Die mir im trauten Gespräch mit ähnlichempfindenden Seelen,

Oder am heiligen Born göttlicher Weisheit entflohn!

Ach! der Sterblichen Freuden, sie gleichen den Blüthen des Lenzes,

Die ein spielender West sanft in den Wiesenbach weht,

Eilig wallen sie, kreisend auf tanzenden Wellen hinunter,

Gleich der entführenden Fluth kehren sie nimmer zurück!

Also fleht' ich, da neigte mit unaussprechlicher Anmuth,

Mit entwölkterem Blick, sich die Göttin herab,

Und enthüllte die blendende Fläche des magischen Spiegels,

Der, lebendig und treu, jeder Vergangenheit Bild,

Von den seligen Spielen des Knaben, bis zu des gebeugten

Greises wankendem Tritt, jedes Geliebten Gestalt,[108]

Den das Schicksal seit Jahren aus unsern Umarmungen loswand,

Im verschönernden Licht süsser Begeisterung zeigt.

Bilder kamen und Bilder verschwanden; die Tage der Kindheit

Wallten, von Freuden umtanzt, lächelnd und rosig vorbei.

Wie erbebte die frohe, im Anschaun ergossene Seele!

O wie schauerte mir Wonne durch Mark und Gebein!

O wie ruhte mein Blick mit Himmelsempfindung auf jeder

Holden Freundesgestalt, die mir im Spiegel erschien!

Bilder kamen und Bilder verschwanden; der Tage des Jünglings

Wallten wenige nur lächelnd und rosig vorbei.

Unter den wenigen grüßte vor allen mein Auge mit Thränen

Stiller Freude den Tag, der mir auf herbstlicher Flur,

An den wildromantischen Berggestaden des Neckars,

Unter Gefühlen entfloh welche die Sprache nicht nennt!

Edle Seelen! durch euch entfloh dieser Tag unter Freuden,

Unter Empfindungen mir, welche die Sprache nicht nennt!

Ihr, o Freundinnen, kränztet ihn herrlich mit Blüthen der Freundschaft

Wie sie jenseits der Gruft bei den Unsterblichen blühn!

Darum werd' ich auch sein mit Wehmuth und Wonne gedenken

Bis meinen schlummernden Staub einst die Vergessenheit hüllt.

Blumen werd' ich mit jeglichem Lenze, zu seinem Gedächtniß,[109]

Der Erinnerung weihn, welche sein Bild mir bewahrt,

Wie der traurende Freund des frühvollendeten Freundes

Einsamgrünendes Grab weinend mit Blumen bestreut.

Wann verborgen und still mein Leben mir einst in der Ferne

Gleich dem versiegenden Quell öder Gefilde verrinnt:

O dann werd' ich noch oft im Geiste den Bergpfad erklimmen,

Wo das Rauschen des Stroms, welcher aus Felsengeklüft,

Tief im waldichten Thal, mit stürzender Eil sich hervorwälzt,

Wo der Nebel, der sanft an den Gebirgen hinab

Sich in bläulichen Wallungen zog, wie von Geistergestalten,

Von des umdüsterten Hains röthlichen Wipfeln durchblickt,

Wo die melodische Quelle, die blinkend wie Licht von des Berges

Schattiger Höh' sich herab tönend ins Wiesenthal gießt,

Wo der Gang durch Rebengeländer voll schwellender Trauben,

Wo zur Linken der Berg, dunkel mit Waldung schattirt,

Und die Engelswiese zur Rechten am grünenden Abhang,

Wo die ganze Natur, rührend und feierlichernst,

O gefühlvolle Beide, der reinsten Empfindung geschaffen,

Euch zur göttlichen Ruh' seliger Geister erhob!

Wann verborgen und still, mein Leben mir einst in der Ferne

Gleich dem versiegenden Quell öder Gefilde verrinnt:

O dann werd' ich noch oft mein Auge gen Himmel erheben

Und dem Unendlichen flehn, daß Euren irdischen Pfad

Linde Lüfte der Ruh', wie Hauche des Frühlings, umathmen,[110]

Daß Euch heiter und mild strale der Hofnung Gestirn,

Bis die Hülle des Geistes zerfällt und in himmlischen Welten

Euch der Morgen erwacht, welchem kein Abend mehr folgt.

Dort, wo nicht mehr auf Gräber die Thräne der Zärtlichkeit hinträuft,

Wo mit dem Freunde den Freund, mit dem Geliebten die Braut

Lohnend die ewige Liebe zu ewiger Liebe vereinigt,

Wo der Himmel sich nie über dem Liebenden wölkt!

Quelle:
Friedrich Matthisson: Gedichte, Band 1, Tübingen 1912, S. 107-111.
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