1.

[374] Von der Theiß, der klaren, fischereichen,

Ist der Geiger Mischka hingezogen,

Wo der Marosch barsche Wogen

Brausend durch beschäumte Klippen streichen.


Der Zigeuner wandert, arm und heiter,

In die Ferne, Fremde, fort und weiter;

Wenn er auch am Wohlgeschmack der Erde

Karg und selten nur sich weidet,

Ist ihm jeder Ort doch bald entleidet,

Und was heimisch, wird ihm zur Beschwerde;[374]

Wenig brauchend kommt und geht

Dieser fiedelnde Aszet.


Mischkas Hüttlein mit dem Halmendach

Ragt empor vom Grund nur wenig Spannen,

Und vorüber wild und jach

Stürzt die Marosch durch die Felsen, Tannen.


Horch, wie rauschen Mischkas helle Saiten

Unter diesen Halmen, die vorzeiten

Bei dem Klang der Lerchenlieder

Auf dem Feld sich wiegten hin und wider.


Nicht allein an Schall und süßen Weisen

Ist dies niedre Hüttlein reich zu preisen;

Strahlen hegt es auch in Fülle,

Wie sie aus den schönsten Welten

Uns herüber, flüchtig, selten,

Leuchten durch die Menschenhülle.


Mischkas treues Liebchen ruht im Grabe;

Doch sie ließ zur Abschiedsgabe

Seines Glücks ihm einen teuren Rest,

Daß sein Herz sich minder härme;

Wie die holde Sommerwärme

Sterbend ihre Frucht uns läßt.


Mischka geigt, und seine hellen Töne

Trägt hinaus der Abendwind;

Vor der Hütte steht die wunderschöne

Mira, das Zigeunerkind.


Die vom Abendrot Geküßte

Ist vom leichten West umflogen,

Und es flattert um der Brüste

Melodiegeschwellte Wogen

Ihres Haars gelockte Nacht;

O, wenn diese schöne Brust erwacht![375]

Dieses Busens keusche Wellen,

Die noch Liebe nie empfanden,

Selig, wem sie einst entgegenschwellen

Und ans Herz im Sturm der Liebe branden!

Selig, wer aus diesen schwarzen Augen

Darf den ersten Blitz der Leidenschaft

Und aus diesem Mund ein Flüstern saugen,

Süß und wonneirr und zauberhaft,

Daß der Cherub beim Gesang der Worte

Sinkt in Schlummer an des Edens Pforte!

Bald doch, bald die Worte unter Küssen

In ein süßres Leben sterben müssen! –

Also glühen die Gedanken

Durch die Brust dem Liebeskranken;

Einsam dort am Waldessaume,

Harrt und lauscht er unterm Baume,

Ob kein Rascheln aus dem Tannengrunde

Ihm ein Wild verrät, zur Abendstunde

Sachte auf den freien Anger schreitend,

Freundlich aus dem Wald den Tag begleitend.


Und er stellt dem Liebesglück ein Zeichen:

Wenn ich heut ein edles Wild noch schieße,

Werd ich meinen heißen Wunsch erreichen,

Daß ich sie in meine Arme schließe.


Sieh dort eine braune Wohlgestalt,

Ruhig kommt ein Hirsch dort aus dem Wald,

Daß der Jäger kann die Enden zählen:

»Sechzehn! – sollens ihre Jahre sein?

Gott der Liebe, laß mich jetzt nicht fehlen!

Ha! er stürzt, halloh! nun ist sie mein!«

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 374-376.
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