Nantes

[214] Über Avignons Blutgericht ragt das der Loäre

Hoch empor; die Sprache vermag doch

Dort zu stammeln: hier fehlt's ganz an den Worten ihr, sind ihr

Selbst die lebendsten todt; sie verstummet!

Wissbegierigen könte vielleicht wortlose Geberdung

Das, das Niegesehene bilden:

Aber würden sie nicht entfliehn? nicht, wenn vor Entsetzen

Sie einwurzelten, schnell sich verhüllen?

Habt ihr Thränen, die ganz des Guten innerstes rühren,

Thränen des tiefsten Grams, blutige Thränen; so weint!

Könige, Schaaren aus Völkern vollführeten viele, nicht kleine

Greuel in Jahrhunderten. Frankreichs[215]

Freye, die Herscher, das Volk zu Schaaren vollführeten grössre,

Mehr, eh Ein Mondhundert entflohn war.

Jenes Gericht, der Wasserehn Erfinder, es blickte

Stets nach der Höhe der Staatsumschaffung;

Ha der Loäre Todesgericht hat empor sich geschwungen

Bis in der Greuel gesunkensten Abgrund!

Habt ihr Thränen, die ganz des Guten innerstes rühren,

Thränen des tiefsten Grams, blutige Thränen; so weint!

Wunderbar! neues Licht hat den Wissenschaften geleuchtet,

Durch die tollhauswürdigen Richter!

Denn, durch sie, ist geendet ein Streit der Weisen; wir wissen

Jetzo, dass Seelen, haben die Thiere.

Habt ihr Thränen, wie keine floss der entheiligten Menschheit,

Thränen des tiefsten Grams, blutige Thränen; so weint!


Quelle:
Friedrich Gottlieb Klopstock: Oden, Band 2, Leipzig 1798, S. 214-216.
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