Der unnachahmliche Pindar,

an Herrn Ramler

[166] (Den 24ten Jenner 1763.)


Wer sich mit wächsernen Flügeln

Wagt zu pindarischem Flug,

Der bringt unsterblichen Nahmen

Dem Meer, in welches er stürzt.


So wie vom Brocken herabrauscht

Der aufgeschwollene Fluß,

Wenn Wassertragende Wolken

Herunter stürzen auf ihn.


So rauscht vom Munde des Pindars

Unwiederstehlich herab

Gesang des Dichters, der immer

Verdient apollischen Cranz.
[167]

Er mag in fliegender Ode,

Mit neuen Worten erfüllt,

Stark thönen oder sanft fliessen

In ungezwungenem Lied;


Er singe von dem Olympus

Von ewig herrschender Macht

Der Götter, oder er preise

Die Thronensitzer der Welt;


Den Held, die siegende Rückkunft

Von dem olympischen Spiel;

Den wagenlenkenden Jüngling

Und das wettlaufende Roß;


Er sing in klagender Stimme

Den Schmerz der ächzenden Braut,

Der ihr Verlobter entrissen

Ward, in erschröcklicher Schlacht;
[168]

Er reisse goldene Sitten

Aus der Vergessenheit Nacht,

Und führ zu glänzenden Sternen

Den Löwengleichenden Muth;


So bleibt er immer der hohe

Ganz unnachahmliche Schwan,

Den zu den Zügen der Wolken

Hebt, eine stärkere Luft.


Ich gleich der summenden Biene,

Die saugt an blühendem Klee,

Ich sinn' am Ufer der Elbe,

Auf mein zu niedriges Lied.


Ich rühre Saphische Sayten

Mit ungeregeltem Griff;

Mir fehlt zum Heldengesange

Gluth und ein männlicher Schwung.
[169]

Dir aber, welcher dem Flaccus

Nachfolgt, dir fodert Gesang

Der Sieger, wann er geschmücket,

Mit wohlverdienetem Cranz


Fährt durch das Menschengedränge

Der großpallästigen Stadt,

Und an dem Wagen geheftet

Führt den gebändigten Stolz


Des Feindes, welcher den König

Uns lange Jahre hindurch

Entzog, und Tage voll Schrecken

Dem Vaterlande gebracht!


Dann sing uns festliche Spiele

Der hoch aufhüpfenden Stadt,

Und der Gerechtigkeit Sääle

Nicht voll vom Klägertumult,
[170]

Und wiederlebende Freuden

Ins neugesittete Volk

Durch die erlangte Zurückkunft

Des grossen Friedrichs gebracht.


Dann werd ich, wo ich noch etwas

Hervor zu bringen vermag,

Mit deiner Stimme vermischen

Mein schwächer thönendes Lied.


Gelehnt am Arme des Sängers

Der Kriegeslieder, will ich

Triumph ausrufen, und Antwort

Giebt die frohlockende Stadt.


Den weyrauchdampfenden Tempeln

Der Spree, dem horchenden Hain,

Dem jubelrufenden Volke.

Dreystimmig singen wir vor!
[171]

Gott gab der Erde den König.

Er fand nichts grössers als Ihn,

Ihr zum Geschenke zu geben;

Nichts bessers, findet er je!

Quelle:
Anna Louisa Karsch: Auserlesene Gedichte, Berlin 1764, S. 166-172.
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