Erleuchtung

[255] In unermeßlich tiefen Stunden

Hast du, in ahnungsvollem Schmerz,

Den Geist des Weltalls nie empfunden,

Der niederflammte in dein Herz?


Jedwedes Dasein zu ergänzen

Durch ein Gefühl, das ihn umfaßt,

Schließt er sich in die engen Gränzen

Der Sterblichkeit als reichster Gast.


Da thust du in die dunkeln Risse

Des Unerforschten einen Blick

Und nimmst in deine Finsternisse

Ein leuchtend Bild der Welt zurück;


Du trinkst das allgemeinste Leben,

Nicht mehr den Tropfen, der dir floß,

Und in's Unendliche verschweben

Kann leicht, wer es im Ich genoß.


Quelle:
Friedrich Hebbel: Sämtliche Werke. 1. Abteilung: Werke, Berlin [1911 ff], S. 255.
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