Künstlers Abendlied

[401] Ach, daß die innre Schöpfungskraft

Durch meinen Sinn erschölle!

Daß eine Bildung voller Saft

Aus meinen Fingern quölle!
[401]

Ich zittre nur, ich stottre nur

Und kann es doch nicht lassen;

Ich fühl, ich kenne dich, Natur,

Und so muß ich dich fassen.


Bedenk ich dann, wie manches Jahr

Sich schon mein Sinn erschließet,

Wie er, wo dürre Heide war,

Nun Freudenquell genießet,


Wie sehn ich mich, Natur, nach dir,

Dich treu und lieb zu fühlen!

Ein lust'ger Springbrunn, wirst du mir

Aus tausend Röhren spielen.


Wirst alle meine Kräfte mir

In meinem Sinn erheitern

Und dieses enge Dasein hier

Zur Ewigkeit erweitern.


Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 1, Berlin 1960 ff, S. 401-402.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte (Ausgabe letzter Hand. 1827)
Gedichte
Sämtliche Gedichte
Goethes schönste Gedichte (Insel Bücherei)
Wie herrlich leuchtet mir die Natur: Gedichte und Bilder (Insel Bücherei)
Allen Gewalten Zum Trutz sich erhalten: Gedichte und Bilder (Insel Bücherei)