Der 85. Psalm
Herr, der du vormals hast dein Land mit Gnaden angeblicket

[200] 1.

Herr, der du vormals hast dein Land

Mit Gnaden angeblicket,

Und des gefangnen Jakobs Band

Gelöst und ihn erquicket,

Der du die Sünd und Missetat,

Die dein Volk vor begangen hat,

Hast väterlich verziehen,


2.

Herr, der du deines Eifers Glut

Zuvor oft abgewendet

Und nach dem Zorn das süße Gut

Der Lieb und Huld gesendet,

Ach, frommes Herz, ach unser Heil,

Nimm weg und heb auf in der Eil,

Was uns betrübt und kränket!


3.

Lösch aus, Herr, deinen großen Grimm

Im Brunnen deiner Gnaden,

Erfreu und tröst uns wiederüm

Nach ausgestandnem Schaden!

Willst du denn zürnen ewiglich,

Und sollen deine Fluten sich

Ohn alles End ergießen?


4.

Willst du, o Vater, uns denn nicht

Nun einmal wieder laben?[200]

Und sollen wir an deinem Licht

Nicht wieder Freude haben?

Ach geuß aus deines Himmels Haus,

Herr, deine Güt und Segen aus

Auf uns und unsre Häuser!


5.

Ach, daß ich hören sollt das Wort

Erschallen bald auf Erden,

Daß Friede sollt an allem Ort,

Wo Christen wohnen, werden!

Ach, daß uns doch Gott sagte zu

Des Krieges Schluß, der Waffen Ruh

Und alles Unglücks Ende.


6.

Ach, daß doch diese böse Zeit

Sich stellt in guten Tagen,

Damit wir in dem großen Leid

Nicht mögen ganz verzagen;

Doch ist ja Gottes Hilfe nah

Und seine Gnade stehet da

All denen, die ihn fürchten.


7.

Wenn wir nur fromm sind, wird sich Gott

Schon wieder zu uns wenden,

Den Krieg und alle andre Not

Nach Wunsch und also enden,

Daß seine Ehr in unserm Land

Und über alle werd erkannt,

Ja stetig bei uns wohne.


8.

Die Güt und Treue werden schön

Einander grüßen müssen;

Gerechtigkeit wird einher gehn,

Und Friede wird sie küssen;

Die Treue wird mit Lust und Freud[201]

Auf Erden blühn, Gerechtigkeit

Wird von dem Himmel schauen.


9.

Der Herr wird uns viel Gutes tun,

Das Land wird Früchte geben,

Und die in seinem Schoße ruhn,

Die werden davon leben.

Gerechtigkeit wird dennoch stehn

Und stets in vollem Schwange gehn

Zur Ehre seines Namens.

Quelle:
Paul Gerhardt: Dichtungen und Schriften, München 1957, S. 200-202.
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