WIDMUNG

[27] Das meer gibt die muscheln der düne ·

Das land gibt die wasser dem meer –

Viele sinds · doch ich gebe kühne

Gesänge als erstlinge her ·

Der wind nehme grünblatt und weissblatt ·

Ohne früchte geschleuderte schar ·

Nehme weinblatt und rosblatt und geissblatt

Losflatternd vom haar.


Die nacht weht sie um mich in herden ·

Der tag treibt wie träume sie her.

Die zeit streut wie schnee sie auf erden

Und jagt sie in endloses meer.

Bleiche blätter fruchtlos getötet

Von flüchtigen jahren bedeckt ·

Die mit wein die mit blut angerötet

Die von tränen befleckt –


[27] Die im staub mancher jahre verwittert

Die dem kind auf die hand sich gesezt ·

In stillgrünen plätzen vergittert

Gepflückt unter menschen erst jezt –

Auf meeren voll wundern · in schluchten ·

An nördliche felsen gestreift ·

In inseln wo myrten nicht fruchten

Und liebe nicht reift.


Ihr töchter von träumen und märchen

Die das leben noch immer nicht bannt:

Faustina Dolores und Klärchen

Julia und Amaranth!

Werd ich ewig euch suchen müssen

Wenn der schlaf · sei er wahr · sei er schaum ·

Zu mir kommt euch vergeblich zu küssen –

Ihr töchter vom traum?


Sie entwichen wie schlaf · wie auf gräsern

Der tau alter dämmrungen weicht ·

So schwach wie ein schatten auf gläsern ·

Wie ein lied wie ein windzug so leicht.

Nach der ebbe wie seewärts die wogen

Erfüllt mit der finsternis fliehn:

So die singvögel · die mich umflogen

Dem blick sich entziehn.[28]


Toter jahre gesänge die jagen

Auf vernehmlicher worte flug ·

Lose blätter vom strandwind verschlagen ·

Unbändiger vögel zug.

Schon zur schulzeit mir manche gefielen

Die leicht so in ton wie in schwung –

Die jüngsten sind brüder von spielen ·

Die spätsten sind jung.


Ist ein schutz während langsam es schwindet ·

Ist ein ohr für ein fliehendes lied

Wie ein mann es zum harfenklang findet ·

Wie knaben es pfeifen im ried?

Ist ein platz in der welt die ihr gründet ·

Ist ein raum in dem land eurer pracht ·

Wo nicht wechsel mit schmerz sich verbündet

Und tag nicht mit nacht?


Ob vom seewind ihr flügel auch zittert ·

Habt ihr nicht einen raum für sie hier

Von grünenden flüssen umgittert

In lieblicher lüfte revier?

In feldern in turmigen mauern

Schutz bei regen und glühendem schein

Schönen wünschen und mildem bedauern

Und liebe ganz rein?[29]


Im lichtland von märchen und farben –

Die stunden drehn schattenlos um –

Wo das feld voller prächtiger garben

Und tönender blumen gesumm ·

Im wald wo der lenz halb verdüstert

Sein sehnend errötend gesicht ·

Beim quell der für liebende flüstert:

Empfangt ihr sie nicht?


Der sorge singvögel die gurren

Ihr lied wie zum feuer der dunst ·

Der wünsche sturmvögel die murren

Laut-flatternd im winde der brunst ·

In dem windlauf – legt sich sein wüten –

Zu der see fern vom lichte gebraust ·

Geschüttelt im dunkel wie blüten

Nacheinander zerzaust.


Ist die welt eurer hand auch an duft reich

Und lieblicher hehrer erfüllt ·

Süss durch kunst mit dem warm-weichen luft-reich

Ihrer schwebenden schwingen umhüllt:

Lasst sie ein · unbeschwingte · verblasste ·

Alter liebe zu lieb – altem tag

Und empfangt in dem bilder-palaste

Dies reime-gelag.[30]


Ob die menschliche zeit voll verzichten

Die jahre der jugend auch leert ·

Widersteht doch ein ding dem vernichten:

Nie hat wechsel die treue versehrt.

Hoffnung stirbt und ihr tod lässt uns wissen ·

Ihr glück wie ihr leiden entschwand ·

Eh die zeit – allzerreissend – zerrissen

Um freunde das band.


Vergehn auch in ein licht die vielen:

Ist vom himmel zu hoffen erlaubt –

Wenn vor wolken die strahlen auch fielen ·

Ist die welt auch der sonne beraubt:

Sie hat mond und hat schlaf zum bescheide ·

Sinkt bräutlich und frisch – eine fee –

Mit sternen und seewind im kleide

Die nacht auf die see.

Quelle:
George, Stefan: Zeitgenössische Dichter. Erster Teil, Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 15, Berlin 1929, S. 27-31.
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