ERMAHNUNG AN DEN LESER · EINTRITT IN DEN MONDHIMMEL

[161] O ihr auf winzigem kahne die im drange

Mich anzuhören ihr euch liesset leiten

Von meinem schiffe das hinfährt im sange:


Kehrt wieder zu den heimischen gebreiten!

Wagt euch nicht auf die hohe flut.. denn gerne

Könnt ihr zerschellen ohne mein begleiten.


Von meinem weg hielt man bisher sich ferne ..

Minerva haucht · Apoll weist mir die fährte

Und neue musen zeigen mir die sterne.


Ihr andren wenigen die ihr die bärte

Zuzeiten aufreckt nach der engelspeise

Die hier uns labt · doch sattsam nie uns nährte:


Vertrauen mögt ihr euer schiff der reise

Auf hohem meere · folgt ihr meinen spuren

Bevor das wasser rinnt in gleicher weise.[161]


Nicht jene Tapfern die nach Kolchis fuhren

Erstaunten so wie ihrs hier mögt erleben

Als Jason sie am werk sahn in den fluren.


Das ewige und eingeborne streben

Zum gottgeformten reich hat uns enthoben

So schnell als sähet ihr den himmel schweben.


Ich sah die Selige an · sie sah nach oben

Und etwa so lang als ein pfeil sich richte

Abfliege und sich trenne von dem kloben:


Ward ich entrückt wo wunderbar gesichte

Mich an sich zog und sie die bis zum kerne

In meinem innern spähte was ich dichte ·


Winkte mir zu so froh als schön: ›Nun lerne

Dankbar zu Gott dich wenden der uns beide

Hier hat vereinigt mit dem Ersten sterne.‹


Es schien mir dass uns ein gewölk umkleide

Ein leuchtendes und dichtes · fest- und feines

Wie diamant durch den die sonne schneide.[162]


Das innere des ewigen edelsteines

Gab einlass uns wie wasser ein kann lassen

Des lichtes strahl und bleibt doch immer eines.


Und war ich körper: (dort kann man nicht fassen

Dass umfang andren in sich zugestünde ·

Sonst müsste körper ja in körper passen)


So ziemte dass ein grössrer wunsch noch zünde

Die wesenheit zu schaun in der wir schauen

Wie unsere natur sich Gott verbünde.


Hier kann man SEHN worauf wir gläubig bauen

Auch unbewiesen – doch durch sich gegeben

So wie wir dem anfänglich wahren trauen.


Ich gab zur antwort: Herrin · so ergeben

Wie ich es nur vermag · will ich Ihm danken

Der aus des sterbens welt mich liess entschweben.


Himmel · II. Gesang · 1–48.[163]

Quelle:
George, Stefan: Dante. Die göttliche Komödie. Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 10/11, Berlin 1932, S. 161-164.
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