[298] Um Weihnachten war's, der Wind blies kalt
Und die Tafelrunde begann,
Da kam an den Hof des Königs
Manch schottischer Rittersmann.
Der König und die Königin
Schauten nieder von ihrem Schloß:
Da sahen sie kommen Jung-Walter,
Jung-Walter hoch zu Roß.
Seine Läufer liefen vor ihm her,
Seine Reiter folgten ihm dicht,
Und sein Mantel wie von Golde
Blitzte im Sonnenlicht.
Und von Golde waren die Decken,
Und die Hufe von Silber hell,
Und das Roß, auf dem Jung-Walter ritt,
War wie der Wind so schnell.
Da sprach ein tückischer Höfling,
Der neben der Königin stand:
»Wer ist der schönste Ritter
In Hoch- und Niederland?«
»Ich habe gesehn viel Lords und Lairds,
Manch schönen Ritters Gesicht,
Einen schöneren als Jung-Walter
Sah ich mein Lebtag nicht.«
Das hörte der neidische König,
Seine Wange verfärbte sich:
»Und wär' er zweimal schöner,
Erst nennen mußtest du mich.«[298]
»Du bist kein Lord und du bist kein Laird,
Du bist König über sie all',
Da ist kein Ritter in Schottland,
Der nicht wäre dein Vasall.«
Die Königin sprach es bang und blaß,
Der König ward blutrot; –
Jung-Walter, daß so schön du bist,
Das bringt dir nun den Tod.
Sie haben ihn flugs ergriffen,
Ihn sicher eingehegt,
Sie haben Jung-Walter ergriffen
Und ihn in Ketten gelegt.
»Oft bin ich geritten durch Stirling
Bei Wetter und Regenguß,
Nie bin ich geritten durch Stirling
Mit Ketten an Hand und Fuß.
Oft bin ich geritten durch Stirling
Bei Regen und Windeswehn,
Nie bin ich geritten durch Stirling,
Um's nimmer wiederzusehn.«
Am Fuß des Hügels noch einmal
Sah er Wappen und Helm und Schwert,
Am Fuß des Hügels noch einmal
Sah er Sattel und Zaum und Pferd.
Am Fuß des Hügels noch einmal
Sah er seine Lady schön –
Um das Wörtlein, das die Königin sprach,
Mußt' sie ihn sterben sehn.[299]
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte (Ausgabe 1898)
|
Buchempfehlung
Bereits 1792 beginnt Jean Paul die Arbeit an dem von ihm selbst als seinen »Kardinalroman« gesehenen »Titan« bis dieser schließlich 1800-1803 in vier Bänden erscheint und in strenger Anordnung den Werdegang des jungen Helden Albano de Cesara erzählt. Dabei prangert Jean Paul die Zuchtlosigkeit seiner Zeit an, wendet sich gegen Idealismus, Ästhetizismus und Pietismus gleichermaßen und fordert mit seinen Helden die Ausbildung »vielkräftiger«, statt »einkräftiger« Individuen.
546 Seiten, 18.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro