Meine Sträuße

[131] Sooft mir ward eine liebe Stund'

Unterm blauen Himmel im Freien,

Da habe ich, zu des Gedenkens Bund,

Mir Zeichen geflochten mit Treuen,

Einen schlichten Kranz, einen wilden Strauß,

Ließ drüber die Seele wallen;

Nun stehe ich einsam im stillen Haus,

Und sehe die Blätter zerfallen.


Vergißmeinnicht mit dem Rosaband –

Das waren dämmrige Tage,

Als euch entwandte der Freundin Hand

Dem Weiher drüben am Hage;

Wir schwärmten in wirrer Gefühle Flut,

In sechzehnjährigen Schmerzen;

Nun schläft sie lange. – Sie war doch gut,

Ich liebte sie recht von Herzen!


Gar weite Wege hast du gemacht,

Kamelia, staubige Schöne,

In deinem Kelche die Flöte wacht,[131]

Trompeten und Zymbelgetöne;

Wie zitterten durch das grüne Revier

Buntfarbige Lampen und Schleier!

Da brach der zierliche Gärtner mir

Den Strauß beim bengalischen Feuer.


Dies Alpenröschen nährte mit Schnee

Ein eisgrau starrender Riese;

Und diese Tange entfischt' ich der See

Aus Muschelgescherbe und Kiese;

Es war ein volles, gesegnetes Jahr,

Die Trauben hingen gleich Pfunden,

Als aus der Rebe flatterndem Haar

Ich diesen Kranz mir gewunden.


Und ihr, meine Sträuße von wildem Heid',

Mit lockerm Halme geschlungen,

O süße Sonne, o Einsamkeit,

Die uns redet mit heimischen Zungen!

Ich hab' sie gepflückt an Tagen so lind,

Wenn die goldenen Käferchen spielen,

Dann fühlte ich mich meines Landes Kind,

Und die fremden Schlacken zerfielen.


Und wenn ich grüble an meinem Teich,

Im duftigen Moose gestrecket,

Wenn aus dem Spiegel mein Antlitz bleich

Mit rieselndem Schauer mich necket,

Dann lang' ich sachte, sachte hinab,

Und fische die träufelnden Schmelen;

Dort hängen sie, drüben am Fensterstab,

Wie arme vertrocknete Seelen.


So mochte ich still und heimlich mir

Eine Zauberhalle bereiten,

Wenn es dämmert dort, und drüben, und hier,

Von den Wänden seh ich es gleiten;[132]

Eine Fei entschleicht der Kamelia sich,

Liebesseufzer stöhnet die Rose,

Und wie Blutes Adern umschlingen mich

Meine Wasserfäden und Moose.


Quelle:
Annette von Droste-Hülshoff: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 1, München 1973, S. 131-133.
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