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[428] 1.
Ich sitze hier und seh den Düften,
Wie sie sich, in den regen Lüften,
Formiren, mit Bewund'rung, zu.
Wie sie sich bilden und entbilden,
Sich hier versilbern, dort vergülden,
In steter Aend'rung, ohne Ruh.
2.
Bald sieht man sie sich schnell verdunckeln;
Bald wie Rubin und Purpur funckeln,
Durch wechselnden Empfang des Lichts.
Bald gleichen sie erhabnen Bergen,
Bald werden sie zu kleinen Zwergen;
Bald sind sie klein, bald grob, bald nichts.
3.
So schnell formiren sich Figuren,
So schnell vergehn die Creaturen
Dort oben in der Lüfte Reich:
Allein! sind Cörper, die auf Erden,
Dem Schein nach, fest gefunden werden,
Nicht ihnen fast an Dauer gleich?
[429]
4.
Die Bluhmen, welche man im Lentzen,
In zierlichsten Gestalten gläntzen,
Und schön an Form und Farben sieht,
Sind oftermahls in wenig Stunden
Verwelcket, ihre Pracht verschwunden,
Und, eh man sichs versieht, verblüht.
5.
So gar auch von der Menschen Leben
Kann ein Gewölck ein Beyspiel geben;
Kann nicht, mit Recht, ein Fels, ein Stein
Zu uns, wie wir zum Wolcken, sagen:
Wie laßt ihr euch so schnell verjagen,
Wie ist doch eure Dau'r so klein!
6.
Da ihr fast sterbt, wann ihr entstehet,
Im Kommen gleichsam schon vergehet,
Wie schleunig seyd ihr nicht mehr da!
Doch, lieber Stein, du magst nur schweigen;
Du kannst uns keinen Fehler zeigen:
Es ist des Schöpfers Ordnung ja.
7.
Zudem da Dinge dieser Erden
Das, wofür sie gahalten werden,
Nur bloß Vergleichungs-weise seyn;
Und wie ein Ton, für sich betrachtet,
Nicht hoch, nicht niedrig wird geachtet,
So ist, für sich, nichts groß, nichts klein.
[430]
8.
Es sollen mir denn Stein' und Eisen
Nicht meiner Daur Vergleichung weisen,
Ich gehe zu der schnellen Luft;
Da wirst du ja nicht läugnen können,
Daß wir uns nicht so plötzlich trennen,
Als wie ein stets-vergeh'nder Duft.
9.
Man thut dann wohl, es umzukehren,
Daß wir vom Duft uns lassen lehren,
Daß wir so plötzlich nicht vergehn;
Daß tausend Ding' auf dieser Erden,
Wenn sie mit uns verglichen werden,
So lange nicht, als wir, bestehn.
10.
Ja, wär' uns Menschen auch ein Leben
Von grössrer Daur, als Stein, gegeben;
Wär' es doch eine kurtze Zeit:
Man würd' es nicht einst rechnen können,
Und wäre kaum ein Punct zu nennen,
Verglich mans mit der Ewigkeit.
11.
Noch mehr; verlischt die Lebens-Kertze,
So traure darum nicht, mein Hertze,
Daß sie nicht länger brennen kann.
Wenn etwan Seel' und Leib sich trennen,
Mußt du dieß kein Vergehen nennen;
Die Aend'rung geht den Leib nur an.
[431]
12.
Der Schöpfer hat dein wahres Wesen
Zu einer grössern Daur erlesen;
Indem er selber ewig ist.
So thut man wohl, wenn ihm zu Ehren,
Man, unsrer Seelen Daur und Währen,
Nach seiner ew'gen Liebe mißt.
13.
Drum wünscht nicht länger hier zu bleiben,
Als, unser Ziel uns vorzuschreiben
Beschlossen hat, der uns gemacht.
Wenn unser Lebens-Tocht verlodert,
Und uns der Schöpfer zu sich fodert,
So saget fröhlich: gute Nacht!
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