Die uns zur Andacht reitzende Vergnügung des Gehörs im Frühlinge, in einem Sing-Gedichte
Ps. CIV, 12.

[3] An den Bergen sitzen die Vögel des Himmels, und singen unter den Zweigen.


Recitirende:


1. Die Aufmunterung.


2. Die Betrachtung.


Aria à 2.


Alles redet itzt und singet,

Alles tönet und erklinget,

Gott, von Deiner Wunder-Macht!

Wem ist itzt Dein Heyl verborgen?

Jeder Tag erzehlt's der Nacht,

Und die Nacht dem andern Morgen.


Aufmunterung.


So bald das güld'ne Morgen-Licht

Durch die begrau'te Dämm'rung bricht;

So bricht der Vögel muntres Heer,

Da Erd' und Luft fast aller Töne leer,

Der dunckeln Nächte tieffe Stille.[4]

Sie öffnen gleich, nach Nacht und Nebel,

Entzücket ob der Sonnen Strahl,

Die Tön- und Lieder- reichen Schnäbel,

Und füllen Wälder, Berg' und Thal;

Es gurgeln ihre kleine Kehlen,

Des Schöpfers Wunder zu erzehlen.


Aria.


Geflügelte Bürger beblätterter Zweige,

Befiederte Sänger, ihr preiset, ihr rühmt,

Da alles belaubet, da alles beblühmt,

Die Güte des Schöpfers, und ich schweige?

Nein:

Dieß, durch die Geschöpfe, gerührte Gemühte

Lobsinget des Schöpfers allmächtiger Güte,

Und wünschet, ihm ewiglich danckbar zu seyn.


Betrachtung.


Hier flötet, lockt und singet,

Dort zwitschert, schläget, rufft und pfeift

Der Vögel schnelle Schaar, wenn sie bald fliegt, bald läuft,

Durch Laub und Blätter schlupft, vom Zweig' auf Zweige springet,

Die Hälse dreht, die Köpfgen rührt,

Vom Sehen nimmer satt, sich wundert, sich ergetzet,

Und, durch des Frühlings Pracht, fast aus sich selbst gesetzet,

Dem grossen Schöpfer danckt, und lieblich jubilirt.

Dort steigt die gurgelnde, gehaubte muntre Lerche

Lobsingend in die Luft;

Mich deucht, daß ich derselben Chöre,

Wie folget, fröhlich singen höre:


[5] Aria.


Da wir allhier

Des Frühlings Zier

In süsser Lieblichkeit verspüren;

So wollen wir,

O Schöpfer, Dir

Zu Ehren lieblich musiciren.


A 3.


Meine Kehle soll sich rühren:

Dir zum Ruhm, zu jubiliren,

Zwitschr' und sing' ich für und für.


Hier rühmt, mit starcker Schaar,

Den warmen Sonnen-Stral der Stieglitz, Spatz und Star,

Der Dross- und Amseln Heer, die Specht' und Klapper-Störche:

So Dol' als Häher schreyt, die schnellen Schwalben schwirren,

Das kleine Zeisgen pfeift, die Wachtel lockt und schläg't,

Die Grasemücke singt, die Turtel-Tauben girren.

Kurz: Alles jauchzt, was sich in Lüften reg't.


Aria. à 2.


Auf zum Loben, zum Dancken, zum Singen,

Preiset und rühmet den herrlichen GOTT!

Nichts müss' auf der Welt erklingen,

Als Dein Ruhm, Herr Zebaoth!


Aufmunterung.


Wie aber, schweigen wir vom Wunder-Schall

Der Wälder Königinn, der Nachtigall?[6]

Sie lässet Tag und Nacht, zu ihres Schöpfers Ehren,

Viel tausend süsse Lieder hören,

Womit sie Feld und Wald, Luft, Hertz und Ohren füllt.

Ihr kleiner Hals, woraus ein flötend Glucken quillt,

Lockt, schmeichelt, girret, lacht, singt feurig, schläg't und pfeift:

Erst zieht sie lange, dehnt und schleift,

Dann wirbelt sie den Ton, zertheilet, füg't ihn wieder,

Und ändert Wunder-schnell die angenehmen Lieder.

Fast aller Singe-Vögel Klang,

Manieren, Melodey, Gesang

Hat der Natur-Geist, wie es scheint,

In einer Nachtigall vereint.


Aria.


Unbetrügliche Wald-Sirene,

Deiner unerschöpflichen Töne

Süsses Locken lockt mein Hertz.

Durch dein künstlich- und liebliches Singen

Flieg't, auf feurigen Andachts-Schwingen,

Mein Gemüthe Himmelwärts.


Betrachtung.


Indessen wächst der Laut, da Mensch und Vieh erwacht;

Die Stille scheidet samt der Nacht;

Man höret ein verwirretes Getön

Allmählig in der Luft enstehn.

Da stellen sich in dem beblühmten Grünen,

Das, durch den Thau, geschmückt mit Demant- gleichem Schein,

Die emsigen, die unverdross'nen Bienen,

Mit sumsendem Gemurmel, ein;[7]

Worunter bald hernach der Flügel tönend Zischen

Die schertzenden geschwinden Fliegen mischen:

Man wundert sich, wie starck ihr schwebend Gauckeln lärmt;

Die Brems' und Hummel summt, der Käfer brummt und schwärmt;

Hier brüllt ein satter Ochs; dort wiehern muntre Pferde;

Im Grase rauscht und knirscht der Biß der fetten Herde;

Es schnattern Endt' und Gans; es kräh't der frühe Hahn;

Dort bleckt ein zartes Lamm; hier meckern kleine Ziegen;

Der muntre Tauber theilt der dünnen Lüfte Bahn

Mit klatschendem Geräusch, und girret vor Vergnügen.


Aria.

Aufm.


Da Welt und Himmel jubiliret,

Da die Natur selbst musiciret,

Da alles, was nur lebet, singt;

Auf! auf! mein Hertz, mit Stimm und Saiten,

Des Schöpfers Wunder auszubreiten,

Von Dem allein die Harmonie entspringt.


Der Guckguck schreyt und rufft: Guck! guck! des Frühlings Pracht!

Guck, in der schönen Welt des grossen Schöpfers Macht

Mit froher Andacht an! Wenn er sie dann beschaut,

Und, daß die Welt so wunderschön,

Nun eine Zeitlang angesehn;

Lacht er, vor Anmuht, überlaut.


Betrachtung.


Die Schneppe schnarrt und ächzet

Im feuchten Schilf, vor Lust; ein junger Rabe krächzet;[8]

Es quackt der feuchte Frosch; man hört in lauen Bächen

Ihn itzt von seiner Lust mit sanftem Quarren sprechen.

Der Frosch, der ganz allein

Von allem, was im Wasser lebet,

Die Augen in die Höh und seine Stimm' erhebet,

Sollt billig uns ein Lehr-Bild seyn.

Es klatschet, rieselt, rauscht anitzt der rege Bach;

Es saus't der laue West; es lispeln Zweig' und Blätter,

Und, in verdünnter Luft und heiterm Wetter,

Vermehrt der Wiederhall den Schall, und ahmt ihm nach.


Aria à 2.


Willst du, Mensch, da, Gott zu Ehren,

Alles tönet, schallt und spricht;

Tauben Ottern gleich, nicht hören?

Höre, rühme, schweige nicht!

Laß, da, selbst von harten Klippen,

Schöne Töne rückwärts prallen,

Die durchs Ohr gereitzte Lippen

Gott ein Danck-Lied wieder schallen!


Quelle:
Barthold Heinrich Brockes: Auszug der vornehmsten Gedichte aus dem Irdischen Vergnügen in Gott. Stuttgart 1965, S. 3-9.
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